Aus „Unser Danzig“, Nr. 2 vom Februar 1955, Seite 6-7
Zoppoter Fischer
von Eitelfriedrich May
Vielfach besteht die Meinung, dass Zoppot schon in seinen ersten Anfängen ein Fischerdorf gewesen sei. Diese Annahme ist falsch. Der Ort Zoppot ist in vielen Urkunden des Klosters Oliva - beginnend mit der des Bischofs Gerwart von Leslau vom 5. März 1283 - als Bauerndorf genannt, nie aber als Fischerdorf. Die ersten Fischer in Zoppot sind erst um 1600 erwähnt worden. Später waren mehrere Fischer vorhanden, aber zusammenhängende Fischersiedlungen scheinen hier nicht bestanden zu haben. Vor 1600 war der Strand bei Zoppot sumpfig und daher ungeeignet für die Ausübung des Fischerberufs. In der Zeit der pommerellischen Herzöge um 1300 sind die einzelnen Fischerstationen an der Ostsee in Pommerellen aufgezeichnet worden. Zoppot ist nicht dabei genannt, wohl aber Gdingen und Glettkau.
Die älteste Landkarte von Zoppot aus dem Jahre 1714 bezeichnet am Ende der Seestraße dort, wo der freie Platz zwischen Kurhaus, Warmbad und Parkhotel sich befindet, sechs kleine Häuser, die im 18. Jahrhundert als „Fischerkaten“ bezeichnet wurden. Erst 1805 erscheint zum ersten Male der Name „Fischerdorf Zoppot“. 1714 war das gesamte Unterdorf*noch unbesiedelt, außer den sechs kleinen Fischerkaten; das Strandland bestand noch aus Sumpf und Wiesen. Am zahlreichsten war die Fischerniederlassung 1773, wo sie 18 Familien zählte. In den ungünstigen Nachkriegsjahren 1807-1814 schmolz diese Siedlung auf vier Familien zusammen.
In dem sehr schnell groß gewordenen Badeort Zoppot bildeten die Fischerfamilien das bodenständige Element. Selten zog ein Fischer von Zoppot fort, um sich in einer anderen Gemeinde niederzulassen. Fast ausschließlich heirateten die Zoppoter Fischer einheimische Fischertöchter, und es war kein Wunder, wenn allmählich alle Zoppoter Fischer miteinander verwandt waren.
Bärenruhe, die man Phlegma nennen kann, ist die Eigenschaft aller Fischer, als hätte ihr Blut die Kälte der Meeresbewohner angenommen. Kräftige Gestalten mit wettergebräunten markanten Gesichtern, abhold dem Alkohol, ehrlich und wahrheitsliebend, so sind die Fischer. Selten geriet ein Fischer mit den Strafgesetzen in Konflikt. Einfach und anspruchslos lebten sie in ihren kleinen Häusern in der Nähe des Strandes, hielten treu zu ihrem deutschen Volkstum, waren glaubensstark und friedfertig. In den frühesten Morgenstunden, wenn noch alles schlief, sah man sie in ihren schweren Stiefeln, mit dem typisch schleppenden Fischergang gemächlich zu ihren Booten gehen.
Die Frauen der Fischer sind ähnlich wie die Männer kräftige Naturen und selten krank. Fast ausnahmslos erreichen die Fischer und ihre Frauen ein sehr hohes Alter. Im Jahre 1919 gab es in Zoppot mehrere über 90 Jahre alte Fischer und Fischerfrauen, deren Vorfahren schon in vielen Generationen in Zoppot gelebt hatten.
Begebenheiten des Ortes und seiner Bewohner, soweit Fischerkreise dabei eine Rolle spielten, wurden in diesen Familien von Generation zu Generation überliefert und wurden immer wieder gern erzählt. So soll sich nach dem Bericht der alten Fischerwitwe Kurowski, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts als Neunzigjährige lebte, folgende aufsehenerregende Begebenheit in Zoppoter Fischerkreisen zugetragen haben. Die jüngere Schwester der Mutter der Kurowski war schon als Kind eine auffallende Schönheit. Dieses Mädchen fiel daher einer reichen Dame aus Dresden auf, die im 18. Jahrhundert beim damaligen Besitzer des Zoppoter Gutes, dem Generalleutnant Grafen von Prebendow-Przebendowski, zu Besuch war. Auf Vorschlag der Dame ging das Fischerkind mit Erlaubnis seiner Eltern nach Dresden mit, wo es wie ein eigenes Kind der Dame erzogen und ausgebildet wurde. Lange Jahre erhielt die Familie in Zoppot keine Nachricht aus Dresden, bis eines Tages ein Brief kam, in dem die Fischertochter ihren Zoppoter Angehörigen mitteilte, sie sei nun eine sehr reiche junge Dame geworden und viele Kavaliere hätten sich schon um ihre Hand beworben, aber auf Wunsch der Adoptivmutter sollte sie den Minister des Königs heiraten. Gleichzeitig sandte sie jedem ihrer Geschwister 300 Taler. Bald darauf traf die Nachricht ein, dass die junge Dame ihrem Gatten einen Sohn geboren habe und im Wochenbett gestorben sei.
Vor 1772 scheint das Fischereigewerbe wenig einträglich gewesen zu sein, denn viele Fischer wollten Zoppot verlassen und ihre einstürzenden Fischerhütten nicht wieder aufbauen. Die Regierung wollte nicht, dass das kleine Fischerdorf Zoppot eingehen sollte, sondern bewilligte den Fischern Geld zum Aufbau ihrer Häuser. Bis 1772 gehörte Zoppot zum Kloster Oliva. Als dieses aufgehört hatte zu bestehen, wurde Zoppot den königlichen Domänen zugeteilt und dem Domänenrentamt in Brück, Kreis Neustadt (Westpreußen), unterstellt. Gleich in den ersten Jahren der Zugehörigkeit Zoppots zu Preußen sollten von den Fischerdörfern an den Staat besondere Abgaben für das Fischen entrichtet werden, und 1782 wollte der Fiskus sogar eine Pacht für das Fischen auf bestimmten Strecken der See erheben. Die Zoppoter Fischer verweigerten Abgaben und Pacht und bewiesen aus ihren alten, ihnen vom Kloster Oliva erteilten Privilegien, dass seit frühesten Zeiten mit dem Besitz des Fischergrundstückes das Recht auf Betrieb einer Fischerei in der Ostsee verbunden war, wofür allerdings eine bestimmte Menge Fische an das Kloster abgeliefert werden musste. Ferner musste von jedem Fischergrundstück eine Magd zum Scharwerk dem Kloster im Sommer gestellt werden. Darauf nahm die Regierung den Fischern die alten Rechtsbriefe ab und ersetzte sie durch zeitgemäße. Von Abgaben für das Fischen und von Pachten blieben sie frei, nur die an das Kloster Oliva geleisteten Lieferungen wurden durch Festsetzung einer Erbpacht gegen Zahlung eines geringen jährlichen Kanons abgelöst. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zahlten fast alle Fischer die Erbpachtsbeträge an den Staat aus und dieser hatte über die Grundstücke nun kein oberherrliches Grundrecht mehr.
Als Zoppot 1823 Seebad geworden war und viele Anordnungen über den Badebetrieb erlassen wurden, griff der Staat auch in manche alte Fischergewohnheit ein. Der Strand musste sauber gehalten werden, und die Fischer durften nicht mehr am Strande die zum Räuchern bestimmten Fische ausweiden. Das hatten sie bis dahin getan und die Eingeweide auf den Strand oder auf Wege geworfen, wo diese Abfälle, besonders im Sommer, verfaulten und übel rochen. Die bisherigen Lebensgewohnheiten der Fischer widerstrebten den „neumodischen Anordnungen“ und nur schwer war der 1823 schon hochbetagte Fischer Zegke zu bewegen, seine Sommergarderobe durch ein Paar Hosen zu vervollständigen. Er lief im Sommer, wie wahrscheinlich alle Fischer, nur mit einem kurzen Hemd bekleidet, umher. Die halb erwachsene Jugend war noch anspruchsloser in ihrer Bekleidung und kam im Sommer ganz ohne jede Körperhülle aus. [...] Als 1923 die Zoppoter Zeitung hierüber eine Mitteilung brachte, empörte sich die Familie Zegke und erklärte, dass ihre Vorfahren vor 100 Jahren immer gehörig bekleidet gewesen und nie, allem Anstand widersprechend, im Hemd im Ort umhergelaufen wären. Dies ist nachzulesen auf Seite 97 des Buches von Böttcher „Der Seebadeort Zoppot bei Danzig" von 1842.
Aus demselben Buch mag noch folgendes über die damaligen Fischerkaten berichtet werden, die am Ende der Seestraße standen und deren letzte erst 1839 abgebrochen wurde. Jede Kate, das soll keine gering schätzende Bezeichnung sein, sondern war der damals amtliche Name dafür, war mit einem mit Moos bewachsenden Strohdach gedeckt. Das Gebäude aus rohem Fachwerk und Lehm hatte keine Grundmauern, sondern war auf einigen zu ebener Erde gelegenen Feldsteinen errichtet. An der Vorderfront fehlten die Fenster, und die schlecht zusammengefügten Doppeltüren hatten keine Schlösser, ihre Handhabe war den Fischern ebenso fremd wie der Gedanke, dass jemand in die Wohnung eines anderen gehen könnte, um ihn zu bestehlen. Eine Diele mit breitem Schornstein zum Räuchern der Fische und je ein Wohnraum rechts und links befanden sich zu ebener Erde. Jede Stube war durch einen in die Lehmwand eingeklemmten Glasscherben notdürftig erhellt, an den Wänden hingen Fischereigeräte zwischen Heiligenbildern. Öfen kannte man nicht, und im Winter wurden Kohlen in einem eisernen Gefäß, das auf ungedieltem Lehmfußboden stand, glühend gemacht. Die Familie saß rings herum und wärmte sich. Zweifellos war es ein glücklicher Umstand, dass Stuben und Haustür recht große Ritzen hatten, denn sonst wären die Bewohner dieser Fischerkaten an Vergiftung gestorben. In dem Tran und Fischgeruch, vermischt mit Kohlendünsten, konnten sicher nur Eingeborene atmen, jeder andere wäre in wenigen Minuten ohnmächtig geworden. Keiner von den alten Fischerkaten steht mehr. Die heutigen Fischerhäuser gehören schon einer späteren höheren Kulturstufe an, und in manchem Fischerhause, wie wir es kennen, haben seit Mitte des vorigen Jahrhunderts vornehme Badegäste, von den Fischerwirtsleuten rührend betreut, beste Erholung gefunden. Alle diese Badegäste rühmten die große Sauberkeit eines solchen Kurquartiers bei Zoppoter Fischern.
Die Häuser der Fischer lagen hauptsächlich in der Parkstraße, Ernststraße, Wäldchenstraße, Südstraße, Dünenstraße und Helastraße. Auf Vorschlag des Bürgermeisters Woldmann bauten die städtischen Körperschaften 1914 am Karlikauer Wäldchen die sogenannte Fischerkolonie, anmutige, moderne kleine Häuschen für je eine bis zwei Fischerfamilien. Die Häuser hatten Zier- und Gemüsegärten und gruppierten sich um einen großen freien Platz, der nicht gepflastert war und auf dem einige alte Kiefern standen. Dadurch sollte die Erinnerung an die ersten Fischersiedlungen in Zoppot vor 300 Jahren geweckt werden. 1930 ist diese Fischerkolonie wesentlich erweitert worden, sodass der größte Teil der Fischer nun hier beisammen wohnte. Aber nicht alle hatten ihre alten Fischerhäuser geräumt, um in die neue Kolonie überzusiedeln, meistens waren die neuen Bewohner junge Fischer, die einen Hausstand gründen wollten, die alten dagegen blieben lieber in ihren alten Häusern. Daher wurde der Zweck, die unschönen alten Fischerhäuser zu beseitigen, nur in geringem Umfange erreicht, weil die alten Fischer allem Neuen ablehnend gegenüberstanden und zäh am Althergebrachten festhielten.
In den letzten Jahren vor dem Kriege 1939 wurde durch polnische Hochseekutter der Fischfang zum wahren Fischraub. Große Schiffe mit motorisierten Fangvorrichtungen fingen nicht nur die ausgewachsenen Fische, sondern sogar die kleinen, die noch zu nichts zu gebrauchen waren. Diese wurden daher fortgeworfen und sie verendeten dann. Selbst Fischbrut wurde vernichtet. Das gestaltete für unsere Fischer, die den Fang mit Handnetzen und Ruderbooten betrieben, ihr Gewerbe immer weniger einträglich. Im Sommer hatten sie noch einen kleinen Nebenverdienst, da sie Boote an Badegäste verliehen, aber im Winter war in manches Fischerhaus die Not als nicht mehr ganz unbekannter Gast eingekehrt. Da musste dann die Stadt helfen und sie zahlte den Fischern besondere Notstandshilfen in barem Gelde.
Nicht einen Polen gab es unter den Fischerfamilien, die seit 300 Jahren in Zoppot wohnten. Die ältesten Fischerfamilien sind Abraham, Amort, Brozio, Kunkel oder Konkel, Kur, Kreft, Schroettke, Schwabe, Schamp, Hagen, Piepke, Behnke, Zegke, Hinz, Jonas, Oberzig, Karschnick, Krönke, Grönke, Gehrke, Grzentke, Kurowski, Freund, Schreiber, Schulz, Adler, Bartsch, Bergmann. Am bekanntesten und verbreitetsten war die Familie Zegke, deren Name in mehreren Variationen vorkam, wie Zoycke, Zecke, Zeicka, Zeycke. Ebenso ist anzunehmen, dass die Namensträger Kur und Kurowski sowie Grönke, Krönke, Krönkowski und Grönkowski vielleicht auch Gehrke und Grzentke aus einer Familie kommen. Noch im Jahre 1905 konnten viele Fischer alte Privilegien vorweisen, wie z. B. Abraham von 1795, Posanki von 1724, Schreiber von 1795, Schulz von 1731.
Viele Fischerfamilien sollen nach dem Einmarsch der Russen und Polen 1945 in Zoppot geblieben sein. Ob man sie dort duldet, weil in Polen Mangel an gelernten Fischern ist? Ob sie sich dort wohl fühlen und sich in die neuen Verhältnisse hinein gefunden haben, zumal sie nicht polnisch sprechen konnten? Gleichviel, vielleicht überdauern sie auch jetzt als einzige das wechselvolle Schicksal, das unser Land seit der ersten Ansiedlung von Fischern in Zoppot gehabt hat. Gott bewahre sie und ihre Stammeseigenart und lasse sie nicht untergehen!
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Wolfgang