Aus "Unser Danzig", Ausgabe April 1955, Seite 20
Danziger Originale
von Josef Ollik, Lübeck, Hohelandstraße 30/32
In den neunziger Jahren (1890-1900) beherbergte unsere Heimatstadt mehrere Danziger Originale. Der älteste hieß Adler. Und weil er sehr krumm und tief gebückt an einem kurzen Krückstock ging, sodass seine kaktusähnliche, rot und blau schimmernde große Nase fast den Erdboden berührte, wurde er "Krummer Adler" genannt. Er war bösartig, namentlich wenn ihn die Jugend hänselte. Dann warf er seinen Krückstock mang die johlende Jugend, der meistens sein Ziel nicht verfehlte. Ebenso spuckte er plötzlich seinen saftigen Priem in die Hand, und blitzartig sauste er einem der Jungen ins Gesicht oder an seinen Anzug. Auch ich war einmal der Leidtragende, und für den Schandfleck an meinem neuen hellen Anzug setzte es zu Hause Prügel und Hausarrest.
Besonders originell und bekannt war Hildebrand. Er trug eine Soldatenmütze und einen langen mantelähnlichen Rock, um den ein großer Brotbeutel gehängt war. Sein Krückstock diente abwechselnd als Gewehr oder Trompete, nachdem ihm seine eigentliche Trompete entzogen worden war. Begegnete er einem Offizier, so machte er einen Präsentiergriff, und besonders stramm präsentierte er, wenn ihm auch mal der alte General August Lenze in den Weg kam. Dann entlohnte ihn letzterer mit einem Geldstück und leutseligen Lächeln. Mancher Musketier oder Grenadier und Hornist konnte sich bei Ablösung der Hauptwache eine Scheibe abschneiden, wenn Hildebrand, der meistens dabei war, mit seinem Krückstock Griffe kloppte oder die Vergatterung trompetete.
Zu diesen beiden Originalen gesellte sich ein Naturmensch, der "Sonnenbruder" genannt wurde. Er hatte einen Charakterkopf mit krausem Haar und blickte stets nach oben in den Himmel, und beim Sonnenschein rührte er sich oft nicht vom Fleck. Auch das zarte Geschlecht war bei den Originalen vertreten. Da war das Roschen aus der Tischlergasse, das Dittchen-Romane verkaufte. Ihren Verdienst setzte sie in Alkohol bei Springer auf dem Holzmarkt um. An Löhnungstagen wurde sie dort von den Arbeitern mit Schnaps traktiert, bis sie betrunken in den Rinnstein kullerte. Dann musste der auf dem Holzmarkt postierte Schutzmann Hirsch sie mit Hilfe eines Dienstmannes auf dem Handwagen zur Ausnüchterung nach dem Ankerschmiede-Turm transportieren. Bei diesem Transport hatten es die beiden nicht leicht, wenn Mariechen mit den Beinen strampelte und die Wogen hoch gingen. - Soweit mir bekannt ist, beschlossen diese Danziger Originale ihr Leben im Altersheim Pelonken.
Die junge Generation wird sich noch auf die bei den späteren Originale erinnern: "Jahnke. tanz mal" und auf Bruno, genannt auch "Schucker Brunchen", mit den weißen Handschuhen bei den Hochzeiten an den Kirchen. Letzterer, der ja auch in den Kriegsjahren den jungen Schaffnerinnen das Ausrufen der Haltestellen abnahm, soll leider in Danzig nach dem Russeneinmarsch ums Leben gekommen sein!
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