Schönen guten Abend,
mittlerweile wird man sich nicht immer mehr bewusst, dass die Menschen die ihre Heimat verloren, die ihre Heimat verlassen mussten, nicht immer freiwillig ihr neues Zuhause aussuchen konnten.
Das gilt für deutsche Vertriebene die sich irgendwie und irgendwo -häufig nach jahrelanger Gefangenschaft in sibirischen oder dänischen Lagern- im Restdeutschland neu ansiedeln mussten genauso wie für polnische Vertriebene deren Heimat von den Russen okkupiert wurde und die ebenso ihrer Heimat beraubt wurden.
Tiegenhof hatte durch den Krieg unzählige Todesopfer zu beklagen. Und trotzdem bestand noch bei Kriegsende, also im Mai 45, die Einwohnerschaft größtenteils aus Deutschen. Aber auch sie wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Ihr Platz wurde durch Neusiedler eingenommen. Neusiedler die aus von Russen besetzten Gebieten vertrieben wurden. Sie kamen in ein Land, das zerstört war, dessen Äcker unter Wasser standen, dessen Entwässerungssysteme nicht mehr existierten. Niemand kam freiwillig hierher, es war ein Land der Verbannten, ein Gebiet Jener, die man in Danzig nicht haben wollte weil sie keine Spezialisten, keine Facharbeiter waren. Noch bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts standen Tiegenhöfer Felder unter Wasser. Es waren fehlende Kenntnisse, fehlende Gelder, also insgesamt gesehen fehlende Mittel die dazu führten, dass das Werder jahrzehntelang mit den Kriegsfolgen zu kämpfen hatte. Und, auch das darf nicht vergessen werden, die Gefahr, dass die Deutschen eines Tages wieder kommen und das Land nehmen, veranlasste viele Neusiedler "auf gepackten Koffern" zu sitzen. Auch das lähmte den Aufbauwillen und jedwede wirtschaftliche Aktivitäten. Redakteure von "Unser Danzig" berichtete darüber kopfschüttelnd, nannten das "polnische Wirtschaft".
Seit einigen Jahren, fast schon traditionell, wird nun in Tiegenhof, heute Nowy Dwór Gdański, der "Dzień osadnika", der Tag der Neusiedler als Gedenktag begangen. An diesem Tag im September, dieses Mal am 30.09.2017, führte ein Umzug vom Tiegenhöfer Bahnhof durch die Stadt bis hin zum Werder-Museum, der früheren Käserei Krieg.
In diesem Jahr fand diese Gedenkfeier das vierte Mal statt. Für jene deutschen Tiegenhöfer die als Kriegsfolge ihre Heimat verloren haben, mag all das schmerzhaft sein. Aber für die polnischen Neusiedler war die Ansiedlung, der Neubeginn, der Aufbau in einer fremden und zerstörten Umgebung die sie sich selber nicht ausgesucht hatten, ebenfalls alles andere als einfach. Sie sind stolz auf das was sie in den Nachkriegsjahrzehnten schufen.
Nicht nur die Neuansiedlung ist Thema, immer im Hintergrund steht auch das Schicksal der vorherigen Bevölkerung.
Die folgenden Bilder stammen von diesem Neusiedler-Fest. Auch wenn das Militärische dieses Tag in deutschen Augen möglicherweise befremdlich wirken mag: Polen war immer stark wenn es militärisch stark war, also sich selber verteidigen konnte. Insofern haben polnische Soldaten, die polnische Armee, einen vollkommen anderen Stellenwert in der polnischen Gesellschaft als das Militär in Deutschland.
Ich war dabei, mit Bekannten, mit Freunden, mit meiner Frau. Auf der einen Seite freute ich mich gemeinsam mit Anderen über das Erreichte, auf der anderen Seite war ich mir aber auch der Tragödie und des Verlustes bewusst.
Schöne Grüße aus dem polnisch-russischen Grenzland
Wolfgang